Sabine Lutz
Frau Mutter und die Kundalini
Neuerdings begegnen mir überall Mariendarstellungen. Völlig unverhofft wimmelt es in meinem Umfeld von Statuen, Anhängern, Bildern, Texten, ... zu allem Überfluss nennt mich meine Tochter neuerdings "die Mutter", was auf mich ziemlich verwirrend wirkt. ("Mutter, liest du uns was vor?", "Ich frage mich, was die Mutter dazu meint", ...)
Scheinbar ist Mütterlichkeit gerade ein Thema.
Maria beschäftigt mich. Diese Sanftmut, diese Güte, diese Ruhe. War sie nicht auch Mutter? War sie nicht auch mal rasend vor Ungeduld, rasend vor Wut und rasend vor Hilflosigkeit?
Ist dieses sanfte Wesen ein Vorbild fürs Muttersein?
Klar, sie war die Mutter von Jesus. Vielleicht war Jesus ja ein äußerst braves Kind? Aber sind nicht Kinder immer Kinder? Egal wessen Sohn sie sind und egal welche Zukunft ihnen prognostiziert wird?
So eine Mutter, sollte die wirklich immer völlig ausbalanciert der Fels in der Brandung sein? Oder darf eine Mutter auch mal so richtig die Sau rauslassen, ihre Wut und ihre Verzweiflung ausleben und einfach mal das Gegenteil von dem sein, was allgemein erwartet wird. (Wird es denn wirklich erwartet? Was wird eigentlich erwartet?) ...
Die Kundalinikraft im Yoga ist die Kraft, die an der Wurzel schlummert.
Die Schlangenkraft, die Urkraft, die Drachenkraft, der unendliche Macht innewohnt. Die Macht zur Freiheit. Die Macht zum Frieden. Diese Macht ist die pure ungezügelte weibliche Urkraft. Weiblich bedeutet hier nicht, dass sie nur den Frauen zugänglich ist. Weiblich bedeutet hier das Gegenstück zu männlich und damit den Teil, den jeder von uns braucht, um ausgeglichen zu sein, um in Balance zu kommen, um alle Teile verbinden zu können.
Die Macht der Ruhe. Die Macht der Liebe.
Wenn ich mir Maria so anschaue, wird mir klar, dass es nicht darum geht, so lieb, brav, angepasst oder nett zu sein. Nein, es geht darum, so liebevoll wie nur möglich zu sein. Mit sich. Mit seinem Umfeld. Mit der Welt.
Wenn du das schaffst, hast du die Kraft und die Macht in dir gefunden und entfesselt. Dann kann sich deiner unbändigen Liebesenergie nichts und niemand entgegen stellen. Dann ruhst du in dir.
Maria kann einfach so dastehen und selig dreinschauen - weil sie liebt.
Sie ist im Frieden! Sie ist -wenn man es so nennen mag- erleuchtet. Ihre Kundalinikraft ist aufgestiegen. Sie ist voll und ganz im Reinen mit sich und der Welt.
Vielleicht sollte man ihr öfters Beachtung schenken - nicht in unterwürfiger Anbetung, sondern in ehrlicher Zuwendung. Im Verstehen und Anerkennen ihrer strahlenden Würde.
Und im Gewahrssein, dass jeder von uns genau das auch sein kann:
Mit Achtsamkeit. Mit Liebe.
